Mein Papa
Die Zähne sind geputzt, ich hab den Frotteeschlafanzug mit den gelben Blümchen an, ich laufe barfuß über den Steinboden in meinem Zimmer, den Sisalboden im Flur.
Im Wohnzimmer höre ich, wie meist um diese Zeit, den Fernseher. Mein Papa sitzt wie immer in seinem Sessel, die Arme auf den breiten Lehnen, die ihn umrunden. Er hat ein seliges Lächeln auf dem Gesicht. Ich weiß nicht, dass es vom Alkohol kommt, dem Bier, das er jeden Abend flaschenweise trinkt, fünf bis sechs. Er ist mein Papa. Ich hab ihn einfach lieb. Und ich freue mich auf unser abendliches Ritual. Es ist nur für uns. Mama ist noch in der Küche, spült ab, oder kocht Marmelade. Sie hört dabei Radio. Mein Bruder ist ein Jahr älter und muss noch nicht ins Bett.
Ich öffne leise die Türe und freue mich auf diese kurze Innigkeit. Ich hole mir Papas Vertrauen, seine Liebe zu mir ab. Ich lege die Arme um ihn, kuschle mein Gesicht an seines und dann, wie jeden Abend, kommt die gleiche Frage:
„Darf ich einen Schluck von deinem Bier trinken?“. Ich lache kurz, verstecke mein Gesicht in seinem Haar; unerhört, was hier passiert. Mein Papa wendet mir sein Gesicht zu und mimt den Empörten, reißt die Augen auf, formt die Lippen zu einem Oh. Um im nächsten Augenblick ganz verschwörerisch nach dem Bierkrug zu greifen und ihn mir hinzuhalten. Unsere Köpfe stecken nah beisammen, er nickt mir zu, dass ich schnell trinke, und ich deute mit Daumen und Zeigefinger die Kleinheit meines Schluckes an, den ich nehmen will, ganz klein. Ich trinke und kaum, dass das kühle Bier über meine Zunge fließt, schüttle ich erschrocken den Kopf, ziehe die Mundwinkel nach außen, um jeden Abend aufs Neue meinen Abscheu vor diesem Getränk zum Ausdruck zu bringen. Mein Papa nimmt selbst einen großen Schluck, stellt den Krug ab und sagt: „Schlaf gut.“ – „Gute Nacht, Papa.“
Jetzt kann ich schlafen gehen. Die Welt ist in Ordnung. Papa ist da, Papa tut, was Papas eben so tun und ich konnte ein ganz klein bisschen Anteil daran nehmen.